Feministische Praktiken/Interventionen reloaded
- Franziska Ohde (Moderation)
- Svenja Spyra
- Lene Faust
- Dr. Agnieszka Balcerzak
- Jördis Grabow
This panel sheds light on different (queer-) feminist practices and forms of civil action in Poland, Germany and Sicily from four different empirical standpoints. In doing so, it discusses social presentations, transformation processes, forms of resistance, and transformative tactics of feminist intervention, as well as contradictions and negotiations.
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Svenja Spyra
Ludwig-Maximilians-Universität München, Soziologie/Gender Studies
Femme-ininität als widerständige queere und feministische Praxis? Ein (empirischer) Blick in subkulturell-politische Zusammenhänge der Gegenwart
Der Beitrag wirft, anteilig basierend auf ersten empirischen Ergebnissen meines laufenden Promotionsprojekts, einen Blick auf (queere) Femme-inintät in Deutschland. Dieses Arbeitet mit Gruppendiskussionen und Einzelinterviews, die mittels der dokumentarischen Methode ausgewertet werden. Der Fokus liegt dabei auf (queerer) Femme-ininität als Teil deutscher, queerer und feministischer Zusammenhänge. Die wissenschaftliche Literatur der letzten dreißig Jahre weist eine starke Präferenz maskuliner und androgyner soziokultureller Repräsentationen auf (vgl. Hark 1989, Engel 1996, Schader 2004). (Queere) Fem(me)ininität, als ästhetische Artikulation und soziokulturelle Repräsentation, steht der subkulturell-politischen Repräsentationslogik scheinbar diametral entgegen. Vor diesem Hintergrund diskutiert der Beitrag (queere) Femme-ininität als Ort von Kritik und Widerstand bezogen auf bestehende Verhältnisse. Im Anschluss an Butler (1997, 1991) wird gefragt, welche Körper derzeit subkulturell-politisch von Gewicht sind und ordnet diese Diskussion vor dem Hintergrund der Butlerschen These ein, dass es einerseits für feministische Subjekte problematisch sei, wenn diese durch dasjenige politische System diskursiv konstituiert würden, von dem eine Emanzipation erfolgen soll (vgl. Butler 1991:17).
Svenja Spyra is PhD-Candidate at the department of sociology (sociology/gender-studies) at LMU Munich. Since 2018 she holds a scholarship of the Hans-Böckler-Foundation. She works as lecturer at the faculty of sociology at the University of Gießen. Her research focusses the fields of sociology of the Knowledge and sociology of the Body, gender and queer studies, queer and feminist movements and pop culture.
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Jördis Grabow
Universität Göttingen, Institut für Diversitätsforschung
Kritik – Intervention – Transformation: Feministische Widerständigkeit als analytische Perspektive
Der Beitrag fokussiert zunächst den Begriff der feministischen Widerständigkeit unter einer dispositivanalytischen Perspektive und stellt feministische Praktiken, die sich durch die Elemente Kritik, Intervention und Transformation auszeichnen, als empirischen Gegenstand vor. Ich gehe davon aus, dass feministische Widerstandspraktiken an verschiedenen sozialen Orten und Räumen stattfinden. Basierend auf Interviewdaten mit feministischen Akteur*innen werde ich zeigen, dass neben der Betrachtung feministischer Protest- und Aktionsformen auch der Blick auf die alltäglichen feministischen Widerstandspraktiken für eine analytische Betrachtung fruchtbar sind. In der Verbindung von Macht und Wissen entstehen feministische Subjektivierungsweisen, die über ein spezifisches Geschlechterwissen verfügen, das als feministische Haltung präsentiert wird und nicht frei von Ambivalenzen und Widersprüchen ist. Es soll diskutiert werden, wie diese Widersprüche als Merkmale der Vermittlung gesellschaftlicher (Transformations-) Prozesse verstanden werden können und welche Perspektiven diese auf das dichotome Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit ermöglichen.
Jördis Grabow currently works as the coordinator for applied research and consultancy at the Göttingen Diversity Research Institute and as the coordinator for the Working Group of Women’s and Gender Studies’ Institutions in the state of Lower Saxony (LAGEN). She studied Social Science and Sociology with a focus on Women’s and Gender Studies at the University of Hannover and the University of Göttingen. In 2020, she completed and defended her dissertation at the Faculty of Social Sciences at the University of Göttingen on current feminist practices of resistance. Her research interest lies in Foucauldian dispositif analysis and its implications for social theory.
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Dr. Agnieszka Balcerzak
Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Empirische Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie
„PIS OFF“. Emotiv-ästhetische Dimension feministischer Pro-Choice-Interventionen im polnischen Abtreibungsdiskurs von Dr. Agnieszka Balcerzak
„Die Hölle der Frauen hält an…“. Unter diesem Titel veröffentlichte 2007 die führende polnische Frauenorganisation FEDERA ihren Bericht zur Abtreibungsfrage in Polen. Seitdem konnten in puncto reproduktiver Autonomie keine Fortschritte verzeichnet werden: Das tief katholische Land hat eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze Europas und eine „Gewissensklausel“ gestattet ÄrztInnen den Eingriff zu verweigern, wenn dieser ihrer moralisch-weltanschaulichen Überzeugung widerspricht. Frauen durften schon bislang Schwangerschaften nur dann abbrechen, wenn diese Folge von Inzest oder Vergewaltigung sind, ihr Leben in Gefahr ist oder der Fötus schwere Fehlbildungen aufweist. Seit der Machtübernahme durch die konservative PiS-Partei 2015 gab es anhaltende, von der Kirche und fundamentalistischen Pro-Life-AkteurInnen forcierte Bestrebungen, Abtreibungen in Polen gänzlich zu verbieten. Bereits 2016 kam es deshalb zu massiven polenweiten „Schwarzen Protesten“ und „Frauenstreiks“ unter der Leitmaxime „My Body, My Choice“. Das PiS-treue Verfassungsgericht hatte am 22. Oktober 2020 die Abtreibung schwer fehlgebildeter Föten für verfassungswidrig erklärt und damit das Abtreibungsrecht weiter verschärft. Das umstrittene Urteil ist der Höhepunkt einer hitzigen Abtreibungsdebatte, die in Polen bereits seit Jahrzehnten geführt wird und löste eine nie dagewesene Protestwelle aus. „Das ist Krieg“ skandieren Hunderttausende Menschen im ganzen Land. Der massive Protest gegen das faktische Abtreibungsverbot hält an und formiert sich zu einer Antiregierungsbewegung.
Diese Protestereignisse dienen im vorliegenden Beitrag aus dem Bereich der Gender- und Protestforschung als Kulisse der Untersuchung poststrukturalistischer Logiken der (Re-)Präsentation und Verhandlung von Geschlecht in Polen. Als „Kulturkampf“ und Spiegelbild der Orientierungskämpfe um kulturelle Hegemonie, reflektiert die höchst emotionsgeladene Abtreibungsfrage den Gehalt von Diskursen um Gleichstellung- und Sexualpolitik, Menschenrechte, Mutterschaft und körperliche Autonomie.
In den Fokus der Analyse rückt die emotiv-ästhetische Dimension feministischer Inszenierungspraktiken und Proteststrategien. Dem akteurs- und subjektzentrierten Ansatz der Europäischen Ethnologie entsprechend wird mittels einer ethnografischen Methodentriangulation aus teilnehmenden Beobachtungen und Diskursanalyse die Perspektive der Pro-Choice-Proteste als „emotional communities“ zentral gesetzt. Die Motivationen, Symboliken und Codierungen der Protestierenden werden dank praxistheoretischer Zugänge zu Emotionsforschung im Kontext von Protest als „doing emotion“ am Beispiel von performativ-visuellen Protestformaten wie Demonstrationen und Plakate veranschaulicht und analysiert.
Dr. Agnieszka Balcerzak is currently a postdoctoral researcher at the Institute for Cultural Analysis and European Ethnology, LMU Munich. Agnieszka holds a MA in German Philology from the University of Poznań and a MA in Eastern European Studies, LMU Munich. PhD in European Ethnology, LMU Munich, on the subject of Polish protest culture after 1989. Agnieszka's research areas are transformation processes in Eastern Europe, social movements and protest culture, women’s and gender studies, material and memory culture. Agnieszka is a member of The International Society for Ethnology and Folklore (SIEF), European Association of Social Anthropologists (EASA), German Association for European Ethnology (DFG).
Latest publication: Zwischen Kreuz und Regenbogen. Eine Ethnografie der polnischen Protestkultur nach 1989 [Between Cross and Rainbow. An Ethnography of the Polish Culture of Protest after 1989]. Transcript, 2020.
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Lene Faust
Universität Bern, Schweiz, Institut für Sozialanthropologie
Tanzen für eine Heilige: Protestperformance als feministische Intervention auf Sizilien von Lene Faust
Der sizilianischen Gesellschaft wird aufgrund von Klientelismus, Mafia, Korruption, Familismus sowie einem in katholisch-religiösen Traditionen verhafteten, patriarchalisch geprägten Gesellschaftssystem häufig Rückständigkeit attestiert. Vor dem Hintergrund traditioneller Familienkultur sowie mediterraner Konzepte von Ehre und Scham wird auch von einer verpassten weiblichen Emanzipation in der sizilianischen Gesellschaft gesprochen.
In Catania, der zweitgrößten Stadt Siziliens, organisieren Frauen seit 2013 im Rahmen der Feierlichkeiten der Stadtpatronin Sant’Agata ein Ritual als eine Form feministischer Protestperformance: gekleidet in weiße Hochzeitskleider tanzen sie zwischen den Festteilnehmer*Innen und provozieren in einem traditionell von Männern geprägten, religiösen Fest mit dieser alternativen Intervention. Dabei rekurrieren sie auf die historische Tradition der ’ntuppateddi, die sich bis zum Niedergang des Rituals Ende des 19. Jahrhunderts ohne Begleitung und maskiert unter die Festteilnehmer*Innen mischten.
Vor dem Hintergrund stagnierender emanzipatorischer Entwicklungen und festgeschriebener Rollenbilder in der sizilianischen Gesellschaft werden am Beispiel der modernen ’ntuppatedde Möglichkeiten feministischer Interventionen und Politiken im Rahmen eines Heiligenkultes beleuchtet.
Lene Faust is a postdoctoral researcher at the Institute of Social Anthropology at the University of Bern, currently doing research on religious networks and religious cults in Sicily. Her PhD is about the neo-fascist scene in Rome (Italy). Among other things, it focusses on memory culture, transgenerational family dynamics, ritual practices and religion in neo-fascism. It was awarded the Forschungsförderungspreis of the Frobenius-Instituts 2020 for the best PhD in German-speaking social and cultural anthropology (Neofaschismus in Italien. Politik, Familie und Religion in Rom. Eine Ethnographie. Transcript, 2021). Her research focuses are on political anthropology, anthropology of religion and anthropology of the Mediterranean.
Contributors
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Moderation
Franziska OhdeLeibnitz Universität Hannover, Institut für Soziologie
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Svenja Spyra
Ludwig-Maximilians-Universität München, Soziologie/Gender Studies
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Lene Faust
Universität Bern, Schweiz, Institut für Sozialanthropologie
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Dr. Agnieszka Balcerzak
Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Empirische Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie
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Jördis Grabow
Universität Göttingen, Institut für Diversitätsforschung
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